In die Filterblase geschrieben

In die Filterblase geschrieben

Foto-0672Die Kellnerin kommt und ich bestelle einen Bitter Lemon. Lese ein wenig, was diverse Timelines in mein Sichtfeld spülen. Allgegenwart Trumps. Die Tagespolitik drängt sich in den Alltag. Ich schütte mir ein wenig Bitter Lemon in mein Glas und sehe zu, wie die Kohlensäure aufgeregt sprudelt. Filterblasen, das ist es also, was gerade diskutiert wird. „Jetzt tut mal nicht alle so überrascht, dass die Rechten auf dem Vormarsch sind. Wenn man nur Texte und Artikel an seine eigene Filterblase schreibt, dann kann man nichts verändern. Die können noch so pointiert und scharfzüngig sein. Geht raus und diskutiert mit den Rechten.“

Vielleicht muss ich mich an dieser Stelle erst einmal entschuldigen. Normalerweise schreibe ich hier ja nur Geschichten. Dies wird keine Geschichte, eher eine persönliche Bestandsaufnahme. Es kullert gerade aus mir heraus, weil sich so viel anstaut – nicht nur Gedanken auch Emotionen. Angst, Wut, Trauer und Hoffnung. Unstrukturiert. So geht es schneller. Ich habe keine Zeit, deshalb schreibe ich einen langen Artikel. Viele der kausalen Erklärungen sind so oder so nichts weiter, als mit dem Brennglas erstellte Randnotizen, schon richtig aber keine Alleinunterhalter.

Filterblasen also und mit den Rechten diskutieren, außerdem ist die steigende Armut, abgehängte Menschen und die Überheblichkeit der linken Boheme in den Städten, die Medien, weil sie es nicht haben kommen sehen und wer nicht noch alles schuld. Es muss immer jemand schuld sein. Am Nebentisch sitzen drei ältere Damen und diskutieren aufgeregt über eine Nichtanwesende. Satzfetzen: „Sie will jetzt nicht mehr Hilde heißen. Wir sollen sie alle Rosie nennen. Und das nach 60 Jahren. Sie war doch immer die Hilde.“ „Das kann sie vergessen. Ich habe sie immer Hilde genannt und werde sie auch weiter Hilde nennen“. „Die alte Schachtel und Rosie. pfff:“ Scheinbar sind alle schuld außer die rechten Demagogen, die man nicht mehr Populisten nennen darf und die tatsächlich Faschisten sind. [Umberto Ecco: 14 Common features of fascism]

„Hilde redet nicht mehr mit mir, weil ich sie nicht Hilde nennen will“. Und Mike redet nicht mehr mit mir. Früher hätte ich ihn einen alten Bekannten genannt. Ein Freund eines, der mal ein Freund war und mit dem man ein gutes Stück des Lebensweges gemeinsam zurückgelegt hat, der dann aber verschollen ist und wenn man sich jetzt sieht, freut man sich, quatscht ein bisschen und geht dann wieder seiner Wege. Mike also. Immer schon ein Schwätzer vor dem Herrn. Aber nie politisch. Was nicht alles aus ihm hätte werden können, wenn er nicht so fett geworden wäre. Mindestens ein Bundesliga-Handballer. Aber die Truppe, in der er jetzt spielt, großartig, nur die allerbesten Handballer und er ist ja so was wie der Kopf von der Truppe und, und, und, „Du muss sagen, wenn ich Dich mit meinem Gelaber nerve““. „Mike, Du nervst“ „Ist mir egal, ich rede trotzdem weiter“.

Filterblase I. Auf Facebook schießt er mir dann einen Link zu einem dieser rechten Fake-Videos in die Timeline. Also habe ich ihn freundlich, wegen der alten Verbundenheit, darauf hingewiesen und den Mimikama-Link zur Erklärung drunter gesetzt – was man halt so macht. Eine halbe Stunde später gab es keinen Mike mehr in meiner Timeline, Mike hat mich entfreundet. Man muss erst mal jemanden finden, der auch mit einem reden will.

Draußen. Noch ein Spaziergang bevor es Abend und kalt wird. Das Licht der Sonne bricht durch einen Baum und sprenkelt ein Muster mit hellen Punkten auf den Asphalt. Punkte sind Licht mit einem dunklen Drumherum. Filterblase II. Wie war das früher? Alles besser, natürlich. Da gab es noch kein Internet, das schuld sein konnte. Aber Filterblasen, die hatten wir auch. Wir lasen die gleichen Bücher und Zeitungen, sahen die gleichen Sendungen im Fernsehen, besuchten die gleichen Veranstaltungen, rauchten das gleiche Dope. Und wenn Gruppen zu eng wurden, entstand das Diktat der Gruppe. Die Hose kannst du doch unmöglich tragen. Wir haben nach den Rechten gesehen, aber so richtig greifbar waren sie nie. Dann brannte das Haus in Solingen und wir haben es nicht kommen gesehen, nicht in unserer Stadt. Heute gibt es das Internet und sie sind ein, zwei Klicks entfernt. Die leisen und die lauten Rechten. Für dumm habe ich sie im Übrigen noch nie gehalten – nicht alle. Nur, die Nazis wissen, wie man sich die Dummheit zu Nutze machen kann. Außerdem habe ich schon immer die Hosen getragen, die mir am besten gefielen, am liebsten mit vielen Flicken – selbst angenäht.

Gruppenkohäsion rechts, links davon Gruppenkorrosion. Die Faschisten streiten nicht über ihre Filterblase. Sie erfüllt ihren Zweck. Alle außerhalb: linksversifft, Gutmenschen und Lügenpresse. Einmal hatten wir keine Lust mehr. Kurz nach dem Brandanschlag in Solingen, klinkten wir uns aus. Wochenlang hatten wir Zeichen der Ohnmacht gesetzt, waren durch die Straßen gelaufen, hatten diskutiert und Nachtwachen bei bedrohten Häusern gehalten. Inzwischen war der Sommer so heiß wie die politischen Diskussionen. Die Stadt ächzte unter der Hitzewelle und die von den Ereignissen spröde gewordenen Menschen zerbrachen in kleine Stücke. Da sind wir raus ans Baggerloch. Drei Jungs, ein Mädchen und zwölf Flaschen billigen Wein in einem alten Transit, um das Lachen wiederzufinden. „Ey, ihr Säcke lasst mir gefälligst auch noch was übrig“, Bolle saß am Steuer und wir anderen grölten ihm lachend mit dem Radio entgegen „You can´t always get, what you want“. Zwei Falschen waren schon bei Ankunft leer.

Abend. „Riders on the storm“. Wir saßen und starrten in den Sonnenuntergang. Plötzlich – ein blödes Wort, weil es sich so nach Schüleraufsatz anhört – zehn Meter weiter rechte Musik. Kollektives Aufstöhnen. Wir wollten doch raus, um unser Lachen wieder zu finden. Ich weiß nicht, warum er es getan hat, aber Bolle ist, rappelvoll wie er war, aufgestanden und zu den Rechten rüber. Wir wären Linksradikal (Was wir natürlich nicht waren), hätten aber keinen Bock auf Stress. Sie sollten mal rüberkommen und wir würden reden. Noch weniger weiß ich bis heute, was die Rechten, drei Jungs Anfang zwanzig mit kurzgeschorenen Haaren und trotz der Hitze mit Springerstiefeln, dazu veranlasst hat, wirklich mit uns zu reden.

Obwohl wir voll waren wie die Nattern, haben wir die Rechten argumentativ in den Sack getan und wieder rausgeholt, bevor sie überhaupt gemerkt hatten, dass sie drin waren – dachten wir. Nur: Jedes Weltbild hat seine Abwehrmechanismen. Wenn sie nicht weiterkamen, war alles, was wir sagten, eben eine Lüge. Damals hieß es noch „Besatzerpropaganda“. Außerdem dürfe man bestimmte Dinge ja nicht sagen, aber… , Und weil sie Dinge sagen, die man nicht sagen darf, tritt das, was gesagt wird in den Hintergrund. Man diskutiert dann eher, ob etwas gesagt werden darf und nicht wie schändlich das Gesagte ist. Gegen Flüchtlinge kann man an der Grenze ruhig die Schusswaffe einsetzen und völkisch, darf man zwar nicht sagen, ist aber nicht so schlimm. Am nächsten Morgen war der Transit voll mit rechten Aufklebern, die wir unter lautem Fluchen entfernten. Nicht jeder, mit dem man redet, lässt sich überzeugen.

Nächster Tag: Die Verkäuferin in der Metzgerei packt mir ein besonders dickes Endstück zu meinem Einkauf. Sie mag mich, seit ich nach den Anschlägen in Frankreich eine Kundin angeblaft hatte, die meinte, dass die (Attentäter) jetzt auch alle zu uns kommen würden. Morgens früh blaffe ich übrigens besonders gut, das kommt dann direkt als animalischer Reflex aus dem Rückenmark. Die Metzgerin gehört zu den Abgehängten. Den Job in der Metzgerei macht sie nur halbtags. Ich weiß noch von zwei Nachbarn, bei denen sie einmal die Woche putzt. Nachdem ich die Kundin angeblafft hatte, hat sie mir eine Scheibe Fleischwurst abgeschnitten und mit ihren schmalen Händen, die viel besser in einen Bürojob als hinter die Fleischtheke passen, gereicht. „Danke, ich darf hier ja nix sagen, sonst bin ich den Job los“.

Rassist wird man nicht, weil einem das Leben oder wegen mir die Gesellschaft übel mitspielt. „Man kann einem Neger, der gerade aus dem Busch kommt, ein Buch vor die Nase halten und sagen lies. Der kann trotzdem nicht lesen, egal wie sehr man ihn peitscht“. Der Moment, als ich das Gespräch mit dem Geschäftsführer eines großen mittelständischen Unternehmens abbrach und ihm sagte, dass er sich seinen Auftrag rektal einführen könne. Gauland, Höcke, von Storch und Petry kann man nur schwerlich als gesellschaftlich abgehängt bezeichnen. Es muss noch etwas anderes sein, das den Rassisten zum Rassisten macht. Überhaupt unterscheiden wir viel zu wenig zwischen gesellschaftlichen Strukturen, die den Faschismus begünstigen und dem Einzelnen der faschistisch handelt. Niemand wird durch gesellschaftliche Strukturen zum Arschloch, dazu entscheidet er sich letztlich selber.

Noch ein nächster Tag. Das Schreiben des Textes zieht sich in die Länge. Das war nicht so geplant. Wieder draußen. Die Morgensonne glitzert im ersten Frost über die Wiese. Kleine Lichtperlen überall zwischen den gefrorenen Halmen. Hoffnung I: Die Weimarer Republik wird viel zitiert in diesem Tagen. Nicht zu Unrecht. Es gibt Parallelen. Aber: Noch sind die gesellschaftlichen Institutionen stark in den westlichen Demokratien und schaffen ein Gegengewicht – stärker als die damaligen Steigbügelhalter. Und manchmal kommt Gegenwind für die Faschisten aus überraschender Richtung.

Von der AOK hätte ich es beispielsweise nicht erwartet. Die AOK war für mich immer Onkel Max. Der war regionaler Ersatzkanzler der AOK. Strammer CDU-Mann. Eine staubig-graue Beamtenerscheinung, der der Geruch von alten Aktenordnern anhaftete, die zu lange in einem feuchten Keller gelagert haben. Es geht die Geschichte in der Familie, dass er in seiner Jugend mal ein athletischer junger Mann gewesen sei, der einen Schwimmer aus dem Rhein gerettet hat. Als er dann aber in die SS wollte, hat mein Opa ihn windelweich geprügelt. Mütterlicherseits waren alle Sozialdemokraten. Der andere Teil der Familie waren Mitläufer – aber davon erzähle ich vielleicht ein anderes Mal. Dass die AOK nun so offen gegen Positionen der AfD Stellung bezieht, hat meinen Respekt und gibt mir Hoffnung.

Dasselbe gilt für Erzbischofl Wölki und seine deutlichen Worte gegen die AfD. Ich bin kein Freund der Amtskirche. Eben weil die Kirche viel zu selten in solchen gesellschaftlichen Fragen offen und deutlich Stellung bezogen hat. Doch vielleicht sind es gerade die Stimmen, die wir jetzt brauchen. Vielleicht ist es hier an der Zeit, Berührungsängste abzubauen. Die Rechten, Faschisten, Populisten, Nazis, Verschwörungstheoretiker und wer sich da noch so alles im Umfeld von Trump und AfD tummelt, sind ebenso wenig eine homogene Gruppe, wie die, denen sie zuwider sind. Aber es bräuchte mehr der Konservativen und Erzkonservativen, die aufstehen. An ein Patentrezept glaube ich jedoch nicht. Wahrscheinlich braucht es von allem etwas: Klare Kante und weiche Argumentation, Ausgrenzung und Einbindung, Überreaktionen und Laissez-faire – jeder auf seine Weise.

Hoffnung II. Nach dem Spaziergang. Wieder in dem Café, in dem ich am Anfang des Textes saß. Zwischen den Streuseln leuchten die Kirschen auf dem Kuchen wunderbar rot. Doch schon nach den ersten Bissen spucke ich die Hälfte knirschend wieder aus. Manchmal erwischt man das Stück mit den Kernen. Bei Brexit und Trump wird immer umstandslos von Mehrheiten geredet. Es sind viel zu viele Menschen, die für sie gestimmt haben, aber zwischen Mehrheit und Minderheit liegt nur ein hauchdünner Schleier, der einer Demokratie kaum würdig ist. Und es sind vor allem die jungen Menschen, die dagegen gestimmt haben. Die, die noch kommen. Inklusion braucht Zeit. Manchmal mehrere Generationen. In der Klasse meiner Tochter sind gut 50 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. Hier wird nicht mehr über Toleranz geredet. Für Toleranz muss man sich anstrengen. Die Kinder sind einfach miteinander. Migrationshintergrund kein Grund oder Erklärung für irgendetwas.

Ich könnte jetzt noch viel schreiben, aber das Wichtigste ist in die Filterblase geschrieben. Inzwischen hat neben mir eine Irgendwas-mit-Medien-Frau Platz genommen, nuckelt an ihrem Latte Macchiato und telefoniert mit klimpernden Armreifen: „I will be there, when the bus arrives. It will be crowded. Hope I see You!“ Ein schönes Schlusswort.

2 Comments

  1. Mike

    Sehr geehrter Herr Amaot, sie kennen mich eventuell unter ukiyo.views (?) – jedenfalls (ver) folgen wir uns auf Instagram. Mein (Klar)Name ist Mike – insofern fühle ich mich durch ihren Artikel betroffen. Mein Mike heißt übrigens Ralph… Beste Grüße. P.S.: Sie gehören auf Grund ihrer Texte und sonstigen Äußerungen zu den wenigen Personen aus dem Internetz, die ich in echt auch mal gerne treffen würde.

    1. Sehr geehrter Mike,
      wir ich an anderer Stelle schon schrieb. Selbstverständlich ist mir ukiyo.views auf Instagram ein Begriff, da ich die Fotos großartig finde. Ich hoffe, ich habe nun nicht all die anständigen Mikes dieser Welt mit dem Text diskreditiert. Und erinnern Sie mich nicht an Ralph. Da gibt es einen Cousin, den ich seit Jahren nicht gesehen habe, und lieber nicht wissen will, was er heutzutage macht – vielleicht erzähle ich eines Tages mal, was er so alles gemacht hat, als ich es noch wusste. Ein Treffen? Vielleicht, wenn Sie einmal in Köln sind. Mit einer Reise nach Berlin sieht es bei mir in nächster Zeit schlecht aus. Grüße Der Amaot

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