Die Gegenwart ist ein merkwürdiges Ding. Kaum ist sie da, ist auch schon wieder weg. Wenn man über die Gegenwart redet, ist sie schon in der Vergangenheit. Eigentlich verpasst man die eigene Gegenwart permanent. So wie man einen Bus verpasst. Immer ist man einen Moment zu spät. Von der der Gegenwart sieht man immer nur die Rücklichter. Da kann man sich noch so beeilen, die Gegenwart fährt schon längst die Straße runter. Im besten Fall gehen gerade die Türen zu, wenn man an der Haltestelle ankommt. Wobei, eigentlich hat die Gegenwart ja keine Haltestelle. Getrieben von einem manisch grinsenden Busfahrer, fährt die Gegenwart unaufhaltsam einfach durch. Da kann man sich sogar auf die Straße werfen. Die Gegenwart fährt einfach über einen drüber und man merkt es noch nicht mal. Scheinbar dauert die Gegenwart genau einen Moment. Man weiß allerdings nicht genau, wie lange dieser Moment dauert. Der Moment ist zumindest lange genug, um unachtsam zu sein. Wenn man einen Moment unachtsam ist, dann hat man sich schon geschnitten. Sobald man dann darüber nachdenkt, ist die Gegenwart, in der man sich geschnitten hat schon Vergangenheit. Was bedeutet, über die Gegenwart kann man nicht nachdenken, sonst ist sie weg. Anders ist es, wenn man unachtsam war und sich eine Beule holt. Dann ist die Beule durchaus gegenwärtig – nicht nur in der Vergangenheit. Was wiederum bedeutet, die Folgen der Gegenwart können durchaus gegenwärtig sein; und das nicht nur einen Moment, sondern so lange bis die Beule sich erst violett, dann grün färbt und schließlich in einem blasser werdenden Gelb langsam verschwindet. Hochinteressant wird es, wenn jemand die Gegenwart für sich beansprucht, dann vollzieht die Gegenwart eine seltsame Metamorphose. Sie dehnt sich sowohl in Zeit als auch in Raum aus. Zur Beanspruchung der Gegenwart gehört unbedingt ein vorwurfsvoller Blick. „In meiner Gegenwart wird nicht geflucht“, sagt es dann. Und schon steht so eine Gegenwart mitten im Raum und verschwindet erst, wenn der andere verschwindet. Im Prinzip könnte man einfach behaupten: „Pfff, bleib ich halt in meiner Gegenwart, blödes Arschloch. Deine Gegenwart ist eh nur eine Zangengeburt deines kranken Hirns. Und in meiner Gegenwart darf ich fluchen, so lange wie ich will“. Damit würden sich zwei Gegenwarte gegenüberstehen, obwohl es keine Mehrzahl von Gegenwart gibt. Die Gegenwart in der Mehrzahl steht sich immer unversöhnlich gegenüber. Man wundert sich, dass die Gegenwart noch keine Kriege ausgelöst hat. Eine Enttäuschung ist in dieser Hinsicht auch das Buch „Kriege der Gegenwart“. In dem Buch geht es ausschließlich um Kriege der Vergangenheit, die nicht wegen der Gegenwart geführt wurden.