Irgendwann zuletzt stolperte ich auf SPON über einen Artikel zu Corn Island . Und das, obwohl ich bei SPON eigentlich nur selten bis zu den Reisberichten komme. Meist habe ich schon nach den ersten Headlines genug und klicke weiter zu anderen Seiten. Auf Corn Island war ich vor mehr als zwanzig Jahren. Wir waren mit einer Gruppe von Studenten zu einem Forschungssemester in Nicaragua und unsere nicaraguanischen Freunde fanden, dass es ein wirklich lohnendes Ausflugsziel wäre.
Auf den Fotos erkenne ich sogar das „Hotel“ wieder, in dem wir untergekommen sind. Damals war es das einzige Hotel auf der Insel: wettergegerbt, mit abblätternder Farbe, unter der das silbergraue Holz wie alte ledrige Haut hervorschaute. Heute hat man es für die Backpacker scheinbar wieder bunt angemalt. Abgesehen von uns gab es damals aber auch keine anderen Backpacker oder sonst welche Touristen auf der Insel.
Wieso unsere Nica-Freunde auf die Idee kamen, dass es sich bei Corn Island um einen Touristen-Ort handelte, erschließt sich mir bis heute nicht. Die Insel war landschaftlich traumhaft, ansonsten aber ein ziemlich finsterer Ort. Denn neben aller pittoresken Schönheit war sie ein Drogenumschlagplatz. Sie wirkte wie aus einem Gangster-Computerspiel Pixel für Pixel herausgeschnitzt und in den Atlantik geworfen. Mit einer Landebahn mitten im Wald und einem einzigen Dorfpolizisten, der nicht so genau hinsah. In dem Schuppen, in dem wir abends gegessen haben – das beste Restaurant am Ort, weil das einzige Restaurant am Ort-, saßen ein paar dunkle Gestalten herum, die mit Sicherheit keine Nicas waren. Der Sprache nach kamen sie irgendwo aus Osteuropa. Anfangs haben sie uns feindselig beäugt, aber als sie dann merkten, dass wir keine Geschäfte machen wollten, wurden wir nicht weiter beachtet.
An einem Abend begleitete ich einen unserer nicaraguanischen Freunde ins Dorf, um ein paar Gramm Gras zu besorgen. Eine karibische Insel, eine Hängematte und ein Joint sind eine sehr feine Kombination. Im Dorf bekam wir aber gleich Kilo-Preise genannt – und nicht nur für Gras. „Koks, Heroin, Speed? Was wollt Ihr?“ Man erzählte sich, dass die Fischer der Insel nachts rausfuhren und Kisten mit Drogen aus dem Golfstrom zogen. Die Kisten wurden irgendwo weiter unten Richtung Südamerika ins Meer geworfen und trieben dann mit einem Peilsender versehen an Corn Island vorbei. Damit macht man mehr Pesos als mit Fischen.
Ich weiß nicht, ob wir ohne unsere nicaraguanischen Freunde überhaupt heil von der Insel runtergekommen wären. Die Jungs und Mädels hatten ein ziemlich feines Gespür dafür, wann es besser war in der Gruppe zu bleiben und zu gehen. An mehr als einem Abend, wenn wir unterwegs waren, drängten sie zu einem schnellen Aufbruch zurück in die Unterkunft, weil sie ein Gespräch aufgeschnappt hatten, dass wir Chelles (weiße Europäer) bestimmt ein paar Pesos hergeben würden, wenn man nett mit einer Machete in der Hand fragt.
Wie viele Einwohner die Insel hatte? Keine Ahnung. Aber die meisten der Einwohner waren Garifuna eine karibisch-afrikanische Gruppe. Ehemalige Sklaven, die sich mit Kariben vermischt haben. Gegenüber unserer Unterkunft war ein Tanzschuppen, in dem sie sich am Wochenende trafen, um zu tanzen und vor allem zu trinken. Die Männer trugen blütenweiße Hemden und die Frauen glatte Haare. Die ganze Woche über hatten sie ihre wilden Afrolocken mit Lockenwicklern für den einen Abend am Wochenende gezähmt. Unter der Woche begegnete man quasi keiner Frau ohne Lockenwickler im Haar. Es schien ungemein wichtig zu sein, glattes Haar zu haben. Mit einer der Frauen kamen wir ins Gespräch. Als sie sich setzte, verzog sie kurz das Gesicht im Schmerz, dann zog sie ein etwa zwanzig Zentimeter langes Messer aus ihrem Dekoltee. „Ist sicherer für den Weg nach Hause“, meinte sie lakonisch, während sie ein Kaugummi zwischen Zahnlücken hin und her schob, durch die bequem ein Reisebus gepasst hätte.
Egal wie finster die Insel damals war, eins ist sie sicherlich: wunderschön mit ellenlangen, weißen Sandstränden. Heute vielleicht auch mit ein paar Touristen mehr als früher. Wenn jemand mal zufällig in der Gegend ist, Corn Island kann ich nur empfehlen. Ach ja, in dem Artikel steht etwas von Propellermaschine von Managua aus. Wir haben damals ein Flussschiff den Río Escondido hoch nach Bluefields genommen. Eine wundervolle Fahrt durch den Dschungel Nicaraguas. Ein paar alte Fotos von der Fahrt habe ich auch noch gefunden. Irgendwo gibt´s noch mehr davon. Ich muss glaube ich mal in den alten Kisten suchen.