Rührseliges Rohrzucker-Rhinozeros. Rasendes Raddrenn-Rhinozeros. Ramponiertes Rempel-Rhinozeros. Alliterarisches Rhinozerossen war damals mein Hobby. Echter Kraftwortsport. Ich saß in der unendlichen Öde einer Meldehalle und war exakt die Nummer A154. Man kennt das, kaum betritt man eine Meldehalle, schon ist man mitsamt seinem ganzen Leben zu einer Nummer degradiert. In Anbetracht der Umstände war mir die Nummer A154 allerdings gerade Recht. A154 ist eine annehmbare Nummer. Schon das A ist schön. A wie Andalusien, Astronaut oder auch Ackerwinde. 154 ist auch O.K. Das ist eine gerade Zahl. Zwar nicht so schön wie 152, die ist näher dran, aber immerhin besser als 153, ungerade, unschön. Und selbst mit der A154 ist man irgendwann Erster, wenn das Amt die A153 verbraucht hat. Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg, auf dem mir dann tatsächlich ein Rhinozeros begegnete.
Wie es in den Flur der Meldehalle kam, war nicht so ganz klar. Im ersten Moment war ich hocherfreut. Denn, wenn nicht ein Rhinozeros höchstselbst, wer dann könnte mir neue alliterarische Rhinozeros-Kraftwortsport-Impulse geben? Leider war es ein sehr trauriges Rhinozeros. Immerzu musste es weinen. Doch überall da, wo seine Tränen hinfielen, wuchsen Blumen. Wunderschöne Blumen mit roten, gelben und blauen Blüten. Und weil das Rhinozeros immerzu weinen musste, war schon fast die ganze Meldehalle voll mit Blumen.
Wie ich erfuhr, war das Rhinozeros in der Meldehalle, weil ein Schutzmann ihm einen Strafzettel verpasst hatte. Man dürfe keinen Panzer ohne ein Nummernschild auf der Straße bewegen, hatte der Schutzmann gesagt. Wo käme man denn da hin, wenn selbst die Bundeswehr Nummernschilder an ihren Panzern habe und ein dahergelaufenes Rhinozeros nicht. Es solle sofort aufs Amt sich ein Nummernschild besorgen oder aus seinem Panzer aussteigen, hatte der Schutzmann es streng angeherrscht. Dann hatte er dem Rhinozeros auch noch seinen roten Gummiball abgenommen. Deshalb musst es ständig weinen. Das Rhinozeros hatte ein schlichtes Gemüt und wollte doch nur mit seinem Gummiball spielen. Ein weinendes Rhinozeros ist ein deprimierender Anblick.
Auf jeden Fall kam später ein holländischer Blumenhändler zufällig in Meldehalle. Ich glaube, er hatte die Nummer A183. Bin mir aber nicht mehr sicher. Nur, dass es irgendeine ungerade Zahl war, weiß ich noch. Das zeigte schon seinen liederlichen Charakter. Zumal er weiße Socken zum fliederfarbenen Ohrfeigengesicht trug. Er war sofort hin und weg von der Blumenpracht und fing an, das Rhinozeros zu umgarn. Machte sich beliebt. Tat so als wäre er der beste Freund des Rhinozeros, dabei war er gar nicht an dem Rhinozeos und seiner traurigen Geschichte interessiert. Er wollte nur seine Blumen. Als er dann das Geheimnis des Rhinozeros kannte, sperrte er es ein. Versprach ihm den schönsten roten Gummiball der Welt, um es bei Laune zu halten. Die Blumen verschiffte er nach Amsterdam und wurde ein steinreicher Mann.
Anfangs glaubte ihm das Rhinozeros noch, aber nach und nach kamen ihm Zweifel. Schließlich versuchte es auszubrechen. Doch es kam nie weit. Der holländische Blumenhändler musste ja nur der Spur der Blumen folgen. Das machte das Rhinozeros immer trauriger und es musste noch mehr weinen. Und je mehr es weinte, desto reicher wurde der Blumenhändler. Am Ende hatte das Rhinozeros alles aus sich herausgeheult. Als der Blumenhändler eines Morgens in den Stall kam, stand da nur noch eine leere Rhinozeroshülle. Er schrie es an, es solle endlich weinen und schlug es sogar. Aber es war nichts mehr übrig von dem Rhinozeros. Da ließ er es einfach auf den Müll werfen und machte sich aus dem Staub.
Glücklicherweise fand ich noch das Horn des Rhinozeros und pflanzte es in meinen Garten. Und siehe da, aus dem Horn wuchs ein wunderschöner Baum mit einer einzigen großen blauen Blüte. Und aus der blauen Blüte wurde eine steingraue Frucht. Die Frucht wuchs und wuchs, bis sie eines Tages zu einem Rhinozeros wurde, das lachend mit einem roten Gummiball auf mich zu lief und mir sagte, die Nummer A154 dürfe jetzt an Schalter 3 der Meldehalle…..
Foto via: Moonsofjupitr
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